TU Darmstadt Blick in die Natur: Natürlicher Leichtbau in der Karosserie

Von Peter Groche und Stefan Köhler

Auf der Suche nach innovativen Leichtbaukonzepten lohnt sich der Blick in die Natur. Der Ansatz flächig verzweigter Strukturen entpuppt sich als sehr vielversprechend für Blechbauweisen. So lassen sich beispielsweise Karosserieteile 20 % leichter gestalten, ohne an Steifigkeit zu verlieren.

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Blattstruktur einer Glückskastanie (links); Stegblech (rechts).
Blattstruktur einer Glückskastanie (links); Stegblech (rechts).
(Bild: TU Darmstadt)

Natürliche Gestaltungsweisen sind oftmals Innovationstreiber technischer Lösungen. Ihre Entdeckung führt meist zu einer wissenschaftlichen Erprobung der Machbarkeit, bevor eine Idee industriell umgesetzt wird. Diesen Weg geht aktuell auch die Technologie der Stegblechumformung. Der Grundgedanke ist dabei die Nutzung von Verzweigungen zur Optimierung flächiger Strukturen. Ihre versteifende Wirkung kann sowohl im dynamischen Einsatz helfen wie beispielsweise in Flügelstrukturen. Diese müssen möglichst leicht gestaltet sein und dürfen sich dennoch nicht zu stark durchbiegen. Aber auch statisch belastete natürliche Gebilde wie das Blatt einer Glückskastanie weisen Verzweigungen auf, um die flächige Struktur zu verstärken.

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Experimentelle Untersuchungen zeigen, dass in Blechstrukturen Verzweigungen eine 43-fach höhere Belastbarkeit bezogen auf die eingesetzte Masse verglichen mit einem nicht verzweigten Teil ermöglichen. Im Drucktest belastet ein Stempel ein Blech ohne Versteifungen und ein Blech mit zwei Stegen. Während dieser den Weg s zurücklegt, wird die Kraft F aufgezeichnet, die hierfür benötigt wird. Die normierte Steifigkeit ergibt sich aus dem Quotient von Kraft F, Weg s und Probenmasse m. Um diesen Ansatz in sogenannten Stegblechen nutzbar zu machen, erfolgte im Rahmen des Sonderforschungsbereichs 666 die grundlagenwissenschaftliche Machbarkeitsanalyse einer neuen Prozesskette.

Großes Feld zur Nutzung des Potentials der Stegblechumformung

Die Prozesskette hat eine produktive Herstellung dreidimensional geformter flächig verzweigter Bleche zum Ziel. Im ersten Schritt wird dabei ein konventionelles Blech im ebenen Zustand mittels Laserschweißen mit Stegen/Rippen verbunden. Dieser Prozessschritt ist aufgrund der einzuhaltenden Toleranzen für den Fügeprozess im ebenen Blechzustand wesentlich besser beherrschbar als in der dreidimensionalen Endkontur. Das ebene Stegblech wird in einem anschließenden Umformprozess in die gewünschte Form gebracht. Die ersten Umformuntersuchungen wurden aufgrund der geometrischen Flexibilität mittels Hochdruckblechumformung durchgeführt. Dabei wird das Blech mit hydraulischem Druck in eine Matrize eingeformt. Die Stege sind vom Hochdruckmedium umgeben und haben keinen Kontakt zu starren Werkzeugteilen.

Aufgrund besserer Taktzeiten – und dadurch einer höheren industriellen Relevanz – wurde die Stegblechumformung weiterentwickelt, damit für die Umformung auch konventionelle starre Werkzeuge genutzt werden können. Hier stellt vor allem die Handhabung des Stegs im Prozess eine besondere Herausforderung dar. Neben Rissen im Blech oder Versagen der Schweißnaht gilt es, eine Kollision von Stegen und Werkzeugelementen zu vermeiden. Weiterhin neigt der Steg in konkaven Krümmungen des Bauteils zum Beulen, was die versteifende Wirkung der Blechverzweigung herabsetzt. Je höher eine beulenfreie Verzweigung ausgeführt ist, desto größer ist die verstärkende Wirkung. Desto größer ist allerdings auch die umformtechnische Herausforderung. Im Rahmen der Grundlagenuntersuchungen wurden dafür unterschiedliche Konzepte bei der Werkzeuggestaltung verfolgt. Neben der Möglichkeit, den Steg während des Prozesses in eine einfache Nut ohne seitliche Unterstützung eintauchen zu lassen, wurden auch Stempelvarianten, die den Steg seitlich unterstützen erprobt. Sowohl aktive Schieberelemente, beispielsweise pneumatisch oder elektrisch angetrieben, als auch passive Keilschieber mit einer mechanischen Kopplung an die Pressenbewegung sind umsetzbar. In der experimentellen Erprobung hat sich gezeigt, dass mit seitlicher Unterstützung dreimal höhere Stege versagensfrei umgeformt werden können, als ohne.

Der Karosseriebau bietet ein großes Feld zur Nutzung dieses Potentials der Stegblechumformung. Das PtU arbeitet aktuell zusammen mit der Läpple Automotive GmbH im Rahmen eines DFG-Transferprojekts an der industriellen Umsetzung der oben dargestellten Prozesskette. Ziel des Projekts ist die Optimierung eines Unterfahrschutzes durch Nutzung der Stegblechtechnologie. Dadurch wird das Bauteil leichter, ohne Steifigkeit zu verlieren. Die numerische Bauteilauslegung zeigt dabei für den Unterfahrschutz mit Stegen eine Gewichtsersparnis von 20 %. Nach der Fertigung von Umformwerkzeug und Schweißvorrichtung wird das PKW-Strukturteil hergestellt und experimentell erprobt.

Im Rahmen des 13. Umformtechnischen Kolloquiums Darmstadt (UKD) werden am 25. September 2018 unter der Überschrift „Moderne Umformtechnik – flexibel, wandlungsfähig, resilient“ neueste Entwicklungen im Bereich der Umformtechnik und mögliche Auswirkungen für Unternehmen dieser Branche beleuchtet.

www.ukd2018.ptu-darmstadt.de

       

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