Werkzeuge Sensorik und Aktorik in Werkzeug-Systeme integriert

Autor / Redakteur: Walter Frick / Rüdiger Kroh

Werkzeuge werden zunehmend nicht mehr von der Stange gekauft, sondern als Systemlösung verlangt – einerseits möglichst universell verwendbar, andererseits aber auch optimal dem Anwendungsfall angepasst. Die Rede ist immer mehr vom intelligenten Werkzeug.

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Der gesamte Bereich Werkzeuge stellt mit mehr als einem Viertel der Aussteller und knapp 18% der Ausstellungsfläche praktisch den Löwenanteil im Exponatereigen der EMO Hannover 2007 dar. Dem Begriff Werkzeugsysteme dagegen fühlen sich lediglich rund 3% der Aussteller zugehörig. Dabei hat der Systemgedanke seit langem schon auch bei den Werkzeugen Einzug gehalten – der Begriff intelligentes Werkzeug geistert durch die Gazetten.

Für Filip Miermans, Leiter Kommunikation der Ceratizit Austria GmbH, Reutte, gehören zu den derzeit wichtigsten Trends und Entwicklungen bei Werkzeugen intelligente Schneidstoffe, die sich an das Anforderungsprofil während der Anwendung anpassen, selbststabilisierende Werkzeuge und Systeme mit intelligentem Schneidenwechsel. In Hannover wird Ceratizit unter anderem drei Hauptthemen vorstellen: Ein neues Komplettsystem für die Bearbeitung von Alurädern, Werkzeuge für den Maschinenbau (Schwerzerspanung/Walzendrehen) und Werkzeuglösungen für die Bearbeitung von Turbinenschaufeln.

Variantenkonfiguration in Rekordzeit

Der Anwender verlangt heute maßgeschneiderte Produkte – trotzdem soll die Lieferung im Idealfall möglichst ebenso rasch wie beim Standardprogramm erfolgen. Auf diese Herausforderung reagiert Ceratizit im Segment Werkzeughersteller-Stäbe mit dem Bestellsystem Quick-Service, das schnelle Individualisierungen mittels der so genannten Variantenkonfiguration möglich macht. Ziel der Variantenkonfiguration ist es, sehr schnell eine kostengünstige, qualitätsoptimierte, individuelle Lösung anzubieten. Bereits nach drei Werktagen erhält der Kunde seine maßkonfektionierten Hartmetallstäbe.

Die Wahl des richtigen Werkzeugs unterliegt in der Praxis mehreren Faktoren. Andreas Schaeper, Vertriebsleiter der Depo GmbH & Co. KG, Marienfeld, unterscheidet hier nach der Maschine (welche Antriebsleistung und Spindeldrehzahl steht zur Verfügung?), der Form (Größe und Schwierigkeitsgrad) und dem verwendeten CAM-System (Drei- oder Fünfachsbearbeitung). Zielsetzung sei es, mit wenigen Werkzeugen mehr zu erreichen: Schruppwerkzeuge mit großen Spantiefen, zum Beispiel Fünfkant-Wendeschneidplatten, Hochvorschubwerkzeuge mit Polygonschneide, WSP oder VHM-Monoblock oder mehrschneidige Schlichtwerkzeuge als Toruswerkzeuge. Das von Depo entwickelte formbezogene, intelligente Programmieren stelle die automatische Bearbeitung sicher. „Einzelteile wie Serienteile zu behandeln ist die Herausforderung der Zukunft.“

Für Detlef Adam, Produktmanager Rollsysteme der Fette GmbH, Schwarzenbek, sind intelligente Werkzeuge heute noch eher Nischenprodukte und werden vorwiegend dort eingesetzt, wo es auf höchste Bearbeitungsgenauigkeit und automatisierte Prozesssicherheit ankommt und wo die auftretenden Prozesskräfte vergleichsweise gering sind. Dies ist vorwiegend in der Endbearbeitung von Serienbauteilen, zum Beispiel bei der Bohrungsfeinbearbeitung.“ Eine breite Anwendung für alle Arbeitsgänge und Verfahren sei aus Preisgründen und auch aus Platz- sowie Steifigkeitsgründen der Werkzeuge noch nicht erkennbar.

Intelligenz, also Sensorik, Messelektronik und Verstellantriebe, benötige Platz und vergrößere – gerade bei kleineren Werkzeugdurchmessern – entweder die Werkzeuge oder schwäche ihre Wandungsquerschnitte. Adam: „Der Kunde erwartet von sensorischen Werkzeugen natürlich einen Zusatznutzen, der sich in der größeren Prozesssicherheit, in der automatisierten Qualitätsüberwachung und auch in der Einsparung von entsprechender Personalkapazität ausdrückt.“

Radialrollkopf mit integrierter Sensorik

Rollsysteme, bekannt auch als Gewinderollköpfe, zeichnen sich bereits heute durch sehr kurze Fertigungszeiten bei der Herstellung von Außengewinden aus. Darüber hinaus ist die Festigkeit dieser durch Kaltmassivumformung hergestellten Gewinde wesentlich höher als bei spanend erzeugten Gewinden. Bisher funktionieren Rollköpfe ausschließlich mechanisch, ohne Nutzung elektronischer Elemente zum Steuern und Überwachen des Prozesses.

Fette, ein Unternehmen der Leitz Metalworking Technology Group (LMT), zeigt nun zur EMO den ersten sensorischen Radialrollkopf vom Typ ES. Detlef Adam: „Er bietet alle Vorteile des Gewinderollens und steigert außerdem die Prozesssicherheit dieses Verfahrens enorm, und zwar ohne zusätzlichen Aufwand. Eine integrierte Sensorik stellt sicher, dass jedes Gewinde komplett fertig ist und den Qualitätsanforderungen entspricht, bevor es die Maschine verlässt. Damit werden nicht nur bisher erforderliche Investitionen für Prüftechnik gespart, sondern auch Personalbindung und damit Kapazität.“

Der neue sensorische Rollkopf besitzt als Energiequelle zum Auslösen des Rollkopfes einen integrierten Akkumulator von hoher Kapazität und Lebensdauer, der einen Hubmagneten versorgt. Dieser löst den Rollvorgang aus, nachdem ein Kontaktsensor das Vorhandensein und die richtige Position des Werkstücks signalisiert hat. Alle für den Rollvorgang notwendigen inneren Abläufe werden automatisch in Bewegung gesetzt. Außerdem sorgt eine neuartige Verriegelung mit einer Kurvenscheibe dafür, dass sich der Rollkopf während des Fertigungsprozesses niemals unbeabsichtigt öffnen kann. Die im Radialrollkopf vorhandene Elektronik ist gegen äußere Einflüsse gekapselt. Die geforderte hohe Steifigkeit ist im Vergleich zu den bekannten rein mechanischen Werkzeugen nicht reduziert und die Werkzeugabmessungen mussten nicht vergrößert werden.

„Der Trend in Richtung intelligente Werkzeuge“, so Fette-Produktmanager Adam, „wird sich weiter fortsetzen. Durch neue Lösungen in der Mikroelektronik und der Mikrobauteile werden auch Werkzeuge mit kleineren Baumaßen – bis zur Wendeschneidplatte – immer intelligenter und finden ihren prozesssicheren und wirtschaftlichen Einsatz bei speziellen Anwendungen. Serienreife Lösungen für Werkzeuge sämtlicher Fertigungsverfahren sind jedoch weiterhin nicht zu erwarten.“

Nach Ansicht von Ulrich Poestgens, Leiter Öffentlichkeitsarbeit der Gühring OHG, Albstadt, werden derzeit verstärkt Werkzeugsysteme nachgefragt, die in der Lage sind, sich an veränderte Umgebungsbedingungen anzupassen, also beispielsweise Verschleiß kompensieren. Dies können zum einen selbsteinstellende Werkzeugkonzepte sein. Zum anderen kann es aber auch um eine Anpassung von Schnittparametern an Werkzeugveränderungen oder Werkstoffschwankungen durch entsprechende Regelung von Maschinenparametern gehen: „Dabei sind integrierte Lösungen von Maschinen- und Werkzeugherstellern notwendig.“ Schichtsysteme, die Verschleiß optisch anzeigen, seien bereits vielfach in Benutzung, obwohl sie keine Überwachung im laufenden Prozess erlauben.

Werkzeuge reagieren auf Veränderungen

Dr.-Ing. Dirk Kammermeier, Direktor Produktentwicklung Kennametal Global, Fürth, versteht unter intelligenten Werkzeugen solche Werkzeuge, die eigenständig und sinnvoll auf Veränderungen reagieren. „Ein aussteuerbares Werkzeug fällt nicht unter diese Definition.“ Intelligente Werkzeuglösungen seien teuer und nur für Kunden von Interesse, die sehr teure Bauteile fertigen.

So arbeite Kennametal zum Beispiel in Forschungsvorhaben mit, die eine statische und dynamische Kraftmessung an einzelnen Frässchneidkörpern beim Messerkopffräsen ermöglichen. Diese Informationen können dann so aufbereitet werden, dass der Fräser immer im optimalen Anwendungsbereich arbeitet. Kleinste Prozessabweichungen können sofort erkannt und es kann entsprechend reagiert werden.

„Die weitaus meisten Kunden aber“, so Kammermeier, „wollen Hochleistungswerkzeuge, die nach neuesten Qualitätsstandards gefertigt werden und eine absolut konstante Leistung erbringen. Diese Werkzeuge werden nach dem Gebrauch gewendet oder ausgetauscht. Das ist eine kostengünstige und effektive Lösung“. Dieser Trend werde dadurch verdeutlicht, dass beispielsweise Bohrwerkzeuge mit austauschbaren Bohrspitzen deutlich stärker wachsen als Vollhartmetallbohrer. Leistungsorientierte Kunden können sich heute die Unstetigkeiten, die durch das Nachschleifen entstehen, nicht mehr leisten. Produktentwickler Kammermeier: „Die Zukunft liegt in intelligenteren Maschinen und Prozessüberwachungen und nicht in intelligenten Werkzeugen.“

Auf der EMO präsentiert Kennametal den Vollhartmetallbohrer 2×2-Drill, der durch seine zwei Bohrspitzen und eine kontinuierliche Spannut von Spitze zu Spitze zweimal eingesetzt werden kann, ohne dass er nachgeschliffen werden muss. Eine weitere Innovation wird die Präsentation der modularen KSEM-Platte für austenitischen Edelstahl sein. Mit dieser Platte wird eine bis zu 200% längere Standzeit bei besseren Schneideigenschaften erzielt. Sie ermöglicht sichere Bearbeitungsprozesse bei schwierigen Operationen und Materialien. Es handelt sich um eine Wegwerfplatte, daher ergeben sich keine Probleme mit Nachschleifen oder Leistungsprobleme wie mit nachgeschliffenen Bohrern.

Dienstleistungen gewinnen an Bedeutung

Die Erwartungen von Kennametal an die EMO umreißt Gérald Goubau, Vertriebs- und Servicedirektor Kennametal Europa, so: „Eine unserer Stärken ist die Innovations- und Technologieführerschaft. Wir erzielen weltweit etwa 45% des Umsatzes mit neuen Produkten, die nicht älter als 5 Jahre sind.“

Services gewinnen fortlaufend an Bedeutung. „Im derzeitigen wirtschaftlichen Umfeld“, so Goubau, „benötigen unsere Kunden alle Ressourcen, um sich auf die direkten Produktionsanforderungen zu konzentrieren. Somit verbleibt eine begrenzte Zeit, sich auf die Verbesserungen der Werkzeugauswahl zu fokussieren, und sie suchen einen Partner, der sie bei diesen Aufgaben unterstützt.“

Kennametal hat im Rahmen des Konzeptes Kennametal Complete ein breites Portfolio an Dienstleistungen zusammengestellt. Dazu gehören beispielweise das Recycling von gebrauchten Hartmetallen, Auslegung und Engineering von neuen Prozessen in enger Zusammenarbeit mit Endverbrauchern und Maschinenherstellern, die gezielte Optimierung von Bearbeitungsschritten in vorhandenen Abläufen sowie Werkzeugbeschaffung, -bereitstellung und-verwaltung, einschließlich der Wiederaufbereitung von gebrauchten Werkzeugen.

Die ungebrochen anhaltende Marktforderung zur Individualisierung der Produkte führt zu gesteigertem Kostendruck. Die Antwort darauf ist nach Einschätzung von Dr.-Ing. Jürgen Fronius, Leiter Tech-Center der Komet Precision Tools GmbH & Co. KG, Besigheim, die Prozessintegration und Flexibilisierung in der Fertigung. „Dazu haben sich unterschiedlichste Lösungsansätze durchgesetzt, die zu weiteren Entwicklungstrends geführt haben.“

Ein wesentlicher Lösungsansatz sei die Integration von Sensorik und Aktorik in spanende Werkzeuge. „In diesem Kontext verfolgen wir mit der Produktpalette der Kom-Tronic-Systeme die Möglichkeit, maximal flexible Fertigungslösungen für die Komplettbearbeitung anbieten zu können.“ Mit Hilfe der einwechselbaren Kom-Tronic-U-Achs-Systeme werde es möglich, auf Standard-Bearbeitungszentren Drehbearbeitungen durchzuführen. Die Möglichkeit, diese Systeme wie herkömmliche Werkzeuge einzuwechseln und sie über ISO-NC-Programmierung anzusteuern, bewirkt eine flexible Fertigung, gerade bei geringsten Stückzahlen.

Individuelle Werkzeuge aus dem Baukasten

Diese Systeme unterliegen wie alle Werkzeugkonzepte dem Druck der Hauptzeitreduktion und somit der Frage nach höheren Drehzahlen, höherer Genauigkeit, MMS-Fähigkeit und maximalem Spanvolumen. „Dazu wird die Palette der U-Achs-Systeme um eine neue Generation erweitert, die diesen Anforderungen nachkommen soll“, erklärt Fronius. „Gleichzeitig ist die Anwendungsbreite so groß, dass die daraus resultierende Variantenvielfalt nur über konsequente Modularisierung beherrscht werden kann.“ Mit einer begrenzten Anzahl an aktorischen Einheiten könne eine Vielzahl von standardisierten Stellmechanismen und Sonderwerkzeugen kombiniert werden. Somit sei für fast jeden Kunden die individuelle Lösung zusammenzustellen.

Außer den mechatronischen Werkzeugsystemen sei jedoch auch eine Verbreitung von individuell an die Prozesse angepassten Werkzeugen zu beobachten. Dies werde über eine variable Modulzusammensetzung erreicht. Dies ermöglicht unabhängig vom Anwendungsbereich die Integration mehrerer Bearbeitungsschritte und führt so im Kontext des Gesamtfertigungssystems ebenfalls zu kostengünstigen und flexiblen Fertigungslösungen. Jürgen Fronius: „Dazu bieten wir eine Vielzahl an Schnittstellen und Werkzeugmodulen rund um die Bohrungsbearbeitung an.“

Auf der EMO werde das Thema Modularisierung einen Schwerpunkt des Komet-Ausstellungsprogramms darstellen. „Es werden neue Lösungen für die flexible Realisierung verschiedener Zerspanungstechnologien sowie Module mechatronischer Systeme präsentiert“, sagt Fronius. Die aktuell gute Stimmungslage werde sich auch zur EMO 2007 fortsetzen: „Wir erwarten ein reges Interesse an fortschrittlichen Fertigungslösungen.“

Intelligente Werkzeuge können kommunizieren

Auch Frank-M. Wohlhaupter, dem technischem Geschäftsführer der Wohlhaupter GmbH, Frickenhausen, stellt sich zunächst die Frage: Kann ein Werkzeug grundsätzlich intelligent sein? Für ihn ist ein Werkzeug erst intelligent, wenn in ihm während der Bearbeitung etwas passiert, sprich eine Steuerung integriert ist oder von außen auf das Werkzeug einwirkt. Ansonsten handele es sich um ein ganz normales Werkzeug, das durch die Maschine entsprechend bewegt oder zwangsgeführt wird. Die Intelligenz liege somit etwa in der reinen Auslegung des Werkzeuges, der Materialauswahl, der Geometrie oder der Beschichtung.

„Ein wirklich intelligentes Werkzeug wäre eines, das mit der Maschinensteuerung kommuniziert und auch gesteuert werden kann, universell und sehr produktiv ist – ähnlich wie Multitasking-Maschinen“, erklärt Wohlhaupter. Werkzeuge dieser Art sind aber sehr kostenintensiv und um ein Vielfaches teuerer als vorhandene Lösungen. Leider haftet den Werkzeugen immer noch der Ruf an, ein Verschleißartikel zu sein. Wohlhaupter: „Wir Werkzeughersteller müssen sehr große Anstrengungen unternehmen, von diesem Vorurteil wegzukommen.

Präzisionswerkzeuge weisen doch zum Teil eine weitaus höhere Lebensdauer auf als Werkzeugmaschinen.“ Neue Werkzeugtechniken tun sich auf diesem Markt deshalb verhältnismäßig schwer, weil die Bediener- und Wartungsfreundlichkeit zu einem Thema werde. „Werkzeuge, die einen vermehrten Schulungs- und Wartungsaufwand voraussetzen“, erläutert Wohlhaupter, „werden in Deutschland zwar zunehmend akzeptiert, im Ausland dagegen eher zurückhaltend wahr- und angenommen.“

Auf der EMO Hannover wird Wohlhaupter seine Schruppwerkzeuge der Vario-Line um zwei weitere Größen bis zu einem Durchmesser von 103 mm erweitern und ein kleines Werkzeug für den Ausdrehbereich von 24,5 bis 29,5 mm zeigen. Darüber hinaus liege der Schwerpunkt auf großen Durchmessern für Ausdrehoperationen bis hin zu 2 m für den Einsatz in der Großgetriebefertigung und speziell bei der Bearbeitung von Bauteilen für Windkraftanlagen. „Und natürlich“, lüftet Wohlhaupter schon mal den Schleier, „haben wir auch wieder eine neue Kooperation zu vermelden“.

Walter Frick ist freier Journalist in 97984 Weikersheim.

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