Allgaier Variotempo als Antwort auf die Kaltumformbarkeit höherfester Stähle
Die Allgaier Werke GmbH im baden-württembergischen Uhingen vertritt die Philosophie der Kaltumformung für Karosserieteile. Dieser bleibt das Unternehmen treu und hat mit Variotempo ein Verfahren entwickelt, mit dem sich auch höherfeste Stähle und Aluminium für den Leichtbau kaltumformen lassen. Helmar Aßfalg, Geschäftsführer des Unternehmens, erläutert die Hintergründe.
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Blechnet: Herr Aßfalg, was muss man sich unter dem Begriff Variotempo vorstellen?
Aßfalg: Variotempo ist ein komplett neues Umformverfahren für Stähle bis 1200 MPa Festigkeit. Dieses ermöglicht Umformgrade, die im Kaltumformprozess bisher nicht für möglich gehalten wurden. Wir haben mit Variotempo jetzt nachgewiesen, dass es doch geht. Und es ist mit minimalen technischen Änderungen in die vorhandenen Produktionsprozesse integrierbar. Bei der Entwicklung von Variotempo haben wir den Kundennutzen berechnet. Dieser bewegt sich zwischen 10 und 140 %. Die 140 % kommen zustande, weil wir Teile, die bisher aus drei Teilen gefertigt und gefügt wurden, jetzt als ein Teil herstellen können, und dieses zudem aus höherfesten Stählen, Normalstählen, aber auch aus Aluminiumlegierungen.
Blechnet: Sie sagen, dass mit Variotempo wesentlich komplexere Geometrien erzeugt werden können. Wie funktioniert das? Arbeiten Sie dabei wie bisher mit Schiebern im Werkzeug?
Aßfalg: Mit Schiebern zu arbeiten, ist ja normal. Der Schlüssel des Geheimnisses liegt vielmehr in den geteilten Matrizen, die wir mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten fahren. Damit ist es uns gelungen, die Spannungen,die im Bauteil auftreten, in den Griff zu bekommen. Vorrangig geht es dabei darum, das Material gemäß unserer Simulation dorthin zu bringen, wo es nachher beim Tiefziehen auch benötigt wird. Deshalb haben wir mit Variotempo nicht nur eine Ziehoperation wie gewohnt, sondern mehrere.
Blechnet: Erzielen Sie mit dem neuen Verfahren jetzt nur ein breiteres Geometriespektrum oder hat das auch noch andere Vorteile?
Aßfalg: Sowohl als auch. Unser Fokus liegt derzeit und vorrangig auf dem hochfesten Material, das bisher als gar nicht kaltumformbar galt. Das größere Geometriespektrum hilft den Kunden, die sehr komplexe Teile produzieren, welche mit dem bisherigen Verfahren nur mit ungewöhnlich großem Aufwand herstellbar waren. Wir haben dafür im Kundenauftrag schon mehrere Teile mit Variotempo untersucht und nachgewiesen, dass wir aus vorher drei Teilen jetzt eines machen können.
Blechnet: Sie deuteten ja schon darauf hin, dass Sie viele Versuche für Variotempo gemacht haben. Wie lange machen Sie diese schon?
Aßfalg: Ja, in der Tat, wir haben das neue Verfahren ingenieurtechnisch untersucht und probiert, wie es funktionieren könnte. Gestartet sind wir damit 2010 und haben erst einmal im stillen Kämmerchen ein paar exemplarische Teile untersucht. Als wir sicher waren, dass wir eine neue technische Lösung gefunden hatten, haben wir einen OEM mit ins Boot geholt und Variotempo mit dessen Serienteilen ausprobiert, und das mit sensationellen Ergebnissen. Diese Teile wurden anschließend auch in einem realen Fahrzeug getestet und sie haben die Feuertaufe bestanden. Mittlerweile können wir getrost zur Serienfertigung mit Variotempo übergehen.
Blechnet: Ist Variotempo die Antwort auf Ihre Philosophie bei Allgaier, nur kaltumzuformen?
Aßfalg: Sie haben sich gut gemerkt, was ich Ihnen vor drei Jahren erzählt habe. Ja, in der Tat, Variotempo ist die Antwort darauf. Ich hatte Ihnen damals schon gesagt, dass wir höchstwahrscheinlich nicht in die Warmumformung einsteigen werden, denn wir hatten damals schon eine leise Idee, wie man höchstfeste Stähle und Aluminium noch besser kaltumformen kann, aber zu dieser Zeit noch keine technische Lösung gefunden. Jetzt haben wir sie und wir werden sie auch in der Serienfertigung einsetzen.
Blechnet: Sie sprechen von weiteren Möglichkeiten mit Variotempo. Was meinen Sie damit?
Aßfalg: Nun, ursprünglich war Variotempo für uns wirklich nur die Antwort auf die Frage, wie weit kaltumgeformt werden kann. Bei unseren Untersuchungen haben wir festgestellt, dass wir damit weit mehr machen können, wie zum Beispiel auch höhere Umformgrade bei Aluminiumwerkstoffen. Das sind für uns natürlich neue Perspektiven mit denen wir im Leichtbau punkten können.
Blechnet: In Ihren Versuchen mit Variotempo spielt die Simulation eine bedeutende Rolle. Was haben Sie simuliert?
Aßfalg: Wir haben die üblichen Simulationen durchgeführt und dann im realen Werkzeug die Simulationsergebnisse verifiziert. Die Anforderungen der Serienproduktion verlangen jedoch noch andere Betriebsmittel als bisher bekannt. Aus diesem Grund haben wir mit verschiedenen Pressenherstellern gesprochen, um herauszuarbeiten, was sich pressentechnisch verändern muss. Da sind wir auch schon ein ganzes Stück weit vorangekommen. Das heißt, demnächst werden wir zwei neue Servopressen beschaffen.
Blechnet: Unterm Strich – was ist jetzt die eigentliche, patentierte Erfindung?
Aßfalg: Das ist die Kaltumformung mit mehreren Matrizen, die mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten zueinander in einem Werkzeug umformen.
Blechnet: Sie haben Variotempo bereits der Fachwelt vorgestellt, aber das war in Mexiko. Warum gerade dort?
Aßfalg: Dort haben wir Variotempo erstmals vorgestellt, das ist richtig. Der Anlass dazu war die Eröffnung unseres neuen Werkes. Wir hatten zahlreiche Gäste aus der Automotivebranche und konnten deshalb mit Variotempo den „Aha-Effekt“ erzielen.
Blechnet: Jetzt sind Sie dabei, für Variotempo auch Lizenzen zu vergeben. Wie muss man sich das vorstellen? Wer kann diese Lizenzen erwerben und wofür?
Aßfalg: Wir als Allgaier Werke können ja von Deutschland, Frankreich und von Mexiko aus nicht die gesamte automobile Welt mit Variotempo bedienen. Es muss jedoch sichergestellt sein, dass dieses Verfahren überall in der Welt genutzt werden kann. Die OEM und Zulieferer, die das neue Verfahren nutzen können und nutzen wollen, können bei uns Lizenzen erwerben.
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