Durchstarten 2021 „Den Nachwuchs nicht aus den Augen verlieren“

Von M.A. Frauke Finus |

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Prof. Dr.-Ing. Stefan Wagner lehrt an der Hochschule Esslingen. Das gesamte System ist voll auf Präsenz ausgerichtet. Dennoch verzeichnet er wieder zunehmende Aktivitäten, grade auch bei den industriellen Partnern: Verträge für Werkstudenten, Praxissemesterstellen und Abschlussarbeiten werden wieder vermehrt angeboten.

Prof. Dr.-Ing. Stefan Wagner ist Mitglied der Fakultät Maschinenbau an der Hochschule Esslingen.
Prof. Dr.-Ing. Stefan Wagner ist Mitglied der Fakultät Maschinenbau an der Hochschule Esslingen.
(Bild: Hochschule Esslingen)

Würden Sie bitte kurz Ihre Tätigkeit und das allgemeine Stimmungsbild umreißen?

Zunächst einmal freut es mich, dass Sie auch die Situation Im Bereich der Ingenieursausbildung beleuchten wollen. Gerne kann ich dies am Beispiel der Hochschule Esslingen darstellen. An dieser Hochschule vertrete ich in der Fakultät „Maschinen und Systeme“ die Bereiche Umformtechnik, Werkstofftechnik und Leichtbauwerkstoffe.

Die Probleme sind natürlich nicht mit denen bei Industrieunternehmen vergleichbar, dennoch hat uns und vor allem unsere Kunden, die Studierenden, die Coronapandemie hart getroffen und den gesamten Lehrbetrieb extrem beeinträchtigt. Von einem Tag auf den anderen war es Anfang 2020 für Studierende verboten, Gebäude der Hochschule zu betreten.

Worin liegen ganz konkret die Probleme und Herausforderungen während der Covid-19-Krise?

Das gesamte System ist voll auf Präsenz ausgerichtet. Dies betrifft die klassischen Vorlesungen, aber auch die Übungen in Kleingruppen an unseren Versuchsanlagen sowie die Durchführung von Entwicklungsprojekten. Insbesondere an den Hochschulen für Angewandte Wissenschaften, den ehemaligen Fachhochschulen, wird vom ersten Tag des Studiums an sehr viel Wert auf persönliche Kontakte der Studierenden zu den Professorinnen und Professoren gelegt, es gibt bei uns keine Massenvorlesungen. Und all dies brach wie gesagt von einem Tag auf den anderen komplett weg.

Prof. Dr.-Ing. Stefan Wagner
„Zur Person“
  • Seit 2016 Fakultät Maschinenbau an der Hochschule Esslingen, Fachgebiete Umformtechnik und Werkstofftechnik
  • Von 1989 bis 2016 Institut für Umformtechnik (IFU) der Universität Stuttgart, Forschungsgesellschaft Umformtechnik (FGU mbH)

Wie muss man sich ein Studentenleben in der Pandemie vorstellen?

Stellen Sie sich einmal vor, Sie hätten im März 2020 Ihr Studium begonnen. Die Vorlesungen sind ausnahmslos digital, Laborübungen werden durch Videos ersetzt, Sie sitzen den ganzen Tag daheim vor dem Laptop. Keine Kontakte zu anderen Studierenden, keine persönlichen Kontakte zu den Lehrenden, die Studienanfänger kommen direkt von der Schule oder der Ausbildung und kennen ja in der Regel am Anfang niemanden. Neben gesundheitlichen Beeinträchtigungen durch das stundenlange „Starren“ auf den Monitor fehlen ganz einfach die Kontakte und der gegenseitige Austausch.

Studierende in den höheren Semestern haben es meiner Meinung nach etwas einfacher. Hier haben sich bereits Lerngruppen und neue Freundschaften gebildet.

Trotzdem wurden und werden selbstverständlich die durch die Regierung getroffenen Maßnahmen befürwortet und unterstützt, keine Frage!

Wie hat sich Ihre eigene Arbeit verändert?

Dies kann ich Ihnen anhand von Beispielen erläutern. Im Bereich der Blechumformung steht den Studierenden bei uns an der Hochschule Esslingen ein gut ausgestattetes Labor zur Verfügung, nicht zuletzt dank der direkten Unterstützung aus der Industrie. So ist zum Beispiel die Firma Schuler zu nennen, welche uns eine moderne Servopresse zur Verfügung gestellt hatte, dank einer direkten Spende konnte ein Retrofit einer hydraulischen Presse durchgeführt werden, die digitale Dehnungsmessung zur FLC-Aufnahme wurde etabliert, mit der Firma Autoform wurde ein enger Kontakt im Bereich der Umformsimulation und Prozesskettenentwicklung aufgebaut. Traditionell bestehen auch sehr enge Kontakte mit Trumpf, sowohl im Bereich der Lasertechnik als auch im Bereich der Stanzapplikation.

Diese Laboreinrichtungen waren während des ersten Lockdowns nicht nutzbar, das heißt standen den Studierenden nicht zur Verfügung. Wir haben versucht, durch die Erstellung von Videos so gut wie möglich praktische Inhalte zu vermitteln, Videos können aber niemals ein gleichwertiger Ersatz von praktischen Tätigkeiten direkt an der Anlage sein.

Glücklicherweise war es innerhalb der Lockerungen im Sommer dann wieder möglich, unter strengen Auflagen Laborübungen in kleinen Gruppen und Projektarbeiten durchzuführen, allerdings nur in höheren Semestern. Viele Studierende sagten mir, dass diese Teilöffnung der Labore für sie ein echtes „Highlight“ im Semester war.

Eine Ausnahme stellt unser fachübergreifendes Projekt zum Aufbau einer Smart Factory Testumgebung dar. Hier war es möglich, zahlreiche Aktivitäten nahezu ohne Einschränkungen weiterzuführen.

Der Vorlesungsbetrieb ist aber nach wie vor komplett digital. Dies bedeutet, ich sitze vor dem Laptop, starte ein entsprechendes Videosystem und sehe eine Liste mit Namen von Studierenden vor mir, die sich ebenfalls eingewählt haben. Es fehlt aber fast komplett das Feedback. Anders ausgedrückt: Ich sehe keine Gesichter und Reaktionen der Studierenden und kann somit nicht beurteilen, ob die Lehrinhalte auch vermittelt wurden. Auch wird stillschweigend vorausgesetzt, dass jeder Studierende ein Laptop oder Vergleichbares sowie einen Internetanschluss mit hoher Übertragungsrate zu Hause hat. Hier bestehen aber leider große Unterschiede.

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Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit Industrieunternehmen?

Kurz gesagt – schwierig. Wir pflegen intensive Kontakte, insbesondere zu Unternehmen in der Region Stuttgart, aber auch darüber hinaus. Sei es durch gemeinsame Projekte, im Rahmen von Praxissemestern, aber auch im Rahmen von Bachelor- oder Masterarbeiten, welche unsere Studierenden in der Regel unter unserer Betreuung in den Industrieunternehmen durchführen. Auch dies änderte sich, es wurden nur noch sehr wenige Plätze für Praktika, Praxissemester und Abschlussarbeiten angeboten.

Was machen die Studierenden dann?

Da gibt es mehrere Möglichkeiten. Zum einen kann der Studienverlauf geändert werden, dass also Industriesemester auf später verschoben werden, oder dass Bachelor- und Masterarbeiten an der Hochschule durchgeführt werden.

Die Internationalisierung der Ausbildung wird ja mehr und mehr gefordert. Ist dies in einer Pandemie überhaupt möglich?

Mit Einschränkungen ja. Internationalisierung ist bei uns an der Hochschule Esslingen tatsächlich ein großes Thema, auch für mich persönlich. So halte ich zum Beispiel die Vorlesung Umformtechnik im 6. Semester komplett auf Englisch. Weiterhin leite ich einen Masterstudiengang im Bereich des Maschinenbaus, dieser Studiengang ist ausschließlich in Englisch. In der Regel haben wir pro Jahrgang Studierende aus mehr als 20 Ländern weltweit, die diesen Masterstudiengang absolvieren. Da in vielen Ländern die Botschaften geschlossen sind, haben zahlreiche unserer internationalen Studierenden außerhalb der EU kein Visum erteilt bekommen. Auch hier waren dann digitale Lösungen gefragt.

Gibt es Ihrer Meinung nach „Licht am Ende des Tunnels“?

Ja, es ist klar eine Verbesserung der Situation feststellbar. Ich verzeichne wieder zunehmende Aktivitäten, unsere industriellen Partner haben den Nachwuchs nicht aus den Augen verloren, aus Fehlern der Vergangenheit wurde sicherlich gelernt. Zunehmend werden Verträge als Werkstudent, Praxissemesterstellen und Abschlussarbeiten angeboten und auch abgeschlossen, Kooperationsprojekte starten. Und irgendwie freuen wir uns alle wieder auf den normalen Hochschulbetrieb, face-to-face!

Gibt es Erkenntnisse, die Sie in Ihren Arbeitsalltag aus der Covid-19-Krise mitnehmen?

Klar gibt es die. Zum einen, wie sicherlich bei vielen Unternehmen auch, die Erkenntnis, dass einzelne Veranstaltungen garantiert auch zukünftig per Videokonferenz stattfinden werden. Kurze Besprechungen mit externen Partnern sind zum großen Teil ohne Einschränkungen auch digital möglich, Dienstreisen können dadurch teilweise eingespart werden.

Zum anderen gibt es meiner Meinung nach ganz klar die Bestätigung, dass Präsenz in der Lehre durch nichts zu ersetzen ist. Dies entspricht auch zahlreichen Rückmeldungen unserer Studierenden.

Hat sich Ihre Arbeit generell in den letzten Jahren verändert?

Ich bin zwar erst seit 5 Jahren an der Hochschule Esslingen tätig, trotzdem kann ich gewisse Veränderungen feststellen. Da wäre, unabhängig von Covid 19, das abnehmende Interesse der jungen Leute an der Aufnahme eines technischen Studiums zu nennen, was uns alle derzeit sehr beschäftigt. Dieses abnehmende Interesse ist an allen Hochschulen und Universitäten in Deutschland feststellbar und hat sicherlich mehrere Gründe, deren Diskussion hier zu weit führen würde.

Weiterhin ist die zunehmende Digitalisierung zu nennen. Hiermit meine ich jetzt nicht die digitale Lehre, sondern das Vordringen digitaler Themen in die Lehrinhalte, also konkret im Bereich der Blechumformung zum Beispiel die digitale Prozesskettenentwicklung und das gesamte Themenfeld „Smart Factory“. Diese und andere neuen Themen, die zum Beispiel durch unseren Industriebeirat angestoßen werden, greifen wir selbstverständlich durch ständige Anpassung der Lehrinhalte auf, ohne jedoch die grundständige technische Ausbildung eines Maschinenbau-Ingenieurs zu vernachlässigen.

Gemeinsam aus der Krise
Durchstarten 2021

In dieser Interviewreihe geben unsere Leser*innen Einblicke in die Herausforderungen und Chancen der Corona-Pandemie. Sie verraten, was sie aus dem Krisenjahr 2020 gelernt haben. Sämtliche Interviews finden Sie unter www.blechnet.com/durchstarten

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