Automatisierung Wenn zwei Welten verschmelzen: Maschinelles Lernen verändert die Abläufe in der Fabrik
Damit Maschinen und Anlagen – auch die der Umformtechnik – effizienter produzieren können, muss aus vorhandenen Daten spezielles Wissen werden. So ziehen die Maschinenbauer künftig mit den Data Scientists an einem Strang. Denn nur so lassen sich Prozesse weiter automatisieren. Praktische Beispiele aus der Fabrik verdeutlichen: Maschinen laufen schneller, Nebenzeiten werden kürzer und Kosten sinken spürbar.
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Es gilt als das Zauberwort schlechthin, das die Prozesse in der Fertigung vereinfachen und beschleunigen kann und ein neues Zeitalter der Produktivität einläuten soll: KI, die Künstliche Intelligenz, die auch artifizielle Intelligenz (AI) heißt. In ihrer Ausprägung als „Maschinelles Lernen“ ist diese Software längst Bestandteil im Alltag, sie erobert zunehmend aber auch die Fabriken.
Maschinelles Lernen (ML) erschließt der Automatisierung neue Möglichkeiten und spürt brachliegende Optimierungspotenziale auf: mit prädiktiver Wartung und beim Steuern von Prozessen, zur Detektion von Anomalien an Maschinen und Anlagen sowie von Werkstücken, bei kollaborativ arbeitenden Robotern, in der automatisierten Qualitätskontrolle und beim Optimieren des Fertigungsablaufs in Maschinen. ML, so sagt es Katharina Zweig, Informatikprofessorin an der TU Kaiserslautern, sei „eine Sammlung von Methoden, die in Daten der Vergangenheit nach Mustern sucht, die für die Zukunft Vorhersagen erlauben“.
Klassisches Engineering hat bald ausgedient
Maschinelles Lernen verändert vermehrt die Art und Weise, wie Maschinen konstruiert werden. Lösungen zum Erledigen konkreter Aufgaben muss man nicht mehr, wie bisher, in einen Algorithmus überführen, sondern das System soll die Handlungsanweisung eigenständig erlernen. Damit aber die Modelle bessere oder performantere Lösungen bieten, muss der gewünschte Algorithmus anhand beispielhafter Prozessdaten erlernt werden.
Ganz einfach ist es nicht, maschinelles Lernen in die Automatisierung zu integrieren, denn verschiedene Herausforderungen sind dabei zu meistern: Eine offene Schnittstelle für Data Science, das Verfahren, das aus Daten Wissen macht, muss über mehrere Frameworks hinweg vorhanden sein und so die Interoperabilität sichern. „Nur wenn ML einfach und ohne Spezialwissen nutzbar ist, lässt es sich in vorhandene Softwarestrukturen integrieren“, erklärt Dr. Fabian Bause, Produktmanager Twincat bei Beckhoff. „Damit der Anwender eine optimale Zuverlässigkeit der gelernten Algorithmik erhält, sind Lösungen bei Nichteignung zu ändern oder gänzlich zu verwerfen. Denn viele maschinelle Lernverfahren weisen inhärente Ungenauigkeiten auf, die man in der Praxis berücksichtigen muss. Die verwendeten Lernverfahren müssen robust sein, das heißt, sie müssen mit wenigen und verrauschten Daten umgehen können.“
Neuronale Netze arbeiten deutlich effizienter
Und weil Lösungen transparent und beweisbar sein sollten, gilt: Je komplexer die Anforderungen sind, desto wichtiger ist es, die verwendeten Algorithmen auch zu verstehen. Ein weites Feld noch für die Forschung!
Wie eine praktische und erfolgreiche Integration von ML in eine echtzeitbasierte Steuerung aussehen kann, das verdeutlichte Beckhoff auf der Hannover Messe 2019 anhand eines Demonstrators zu Twincat Machine Learning: Dabei ist zwischen zwei XTS – ein lineares Transportsystem (eXtended Transport System) mit Movern zur Aufnahme von Werkstücken – ein Fließband platziert. Jeweils zehn XTS-Mover lassen sich nach und nach auf Markierungen des Fließbandes synchronisieren und für eine Strecke von einem Meter parallel zur jeweiligen Markierung fahren. Dann koppeln sie aus und bewegen sich für die nächste Synchronfahrt wieder an den Anfangspunkt des Bandes. Das Ergebnis im direkten Vergleich verdeutlicht: Das mit einem klassischen Verfahren gesteuerte XTS zeigt insbesondere während des Auskoppelns und kurz vor dem erneuten Aufsynchronisieren einen hohen Verschleiß- und Energieverbrauchswert, weil es hierbei stark beschleunigen oder abbremsen muss. Das zweite XTS hingegen, trainiert mit einem speziell auf diese Anwendung zugeschnittenen neuronalen Netz, arbeitete deutlich effizienter, denn es erzeugt „weichere“ Bewegungsprofile, es verteilt also die für die Synchronisation notwendige Dynamik über einen größeren Bereich des XTS.
KI bringt Zusatznutzen im Maschinenbau
Um große Datenmengen lokal an der Werkzeugmaschine verarbeiten zu können, setzt der Maschinenbauer auf Edge Computing. Das maschinennahe Verarbeiten der Daten erspart dem Anwender Kosten beim Speichern oder Übertragen. Große Datenmengen nämlich lassen sich so schon vorab vor Ort auf ihre relevanten Daten hin abklopfen, um dann ausschließlich diese wenigen, aber wichtigen Daten in eine Cloud zu übertragen.
Eine solche Edge-Applikation auf Basis Künstlicher Intelligenz ist Analyze Myworkpiece/Vision von Siemens: eine Software, die anhand eines Kamerabildes erkennt, ob das richtige Werkstück auch in der korrekten Position im Bearbeitungsraum liegt. Schneller und besser, als es der Mann an der Maschine je kann. Erst wenn das Werkstück korrekt liegt, läuft die Maschine zum Bearbeiten an.
Die dabei verwendete KI bringt zudem weiteren Nutzen: Sie überprüft den Verschleiß von Werkzeugen, dokumentiert alle Bilddaten und sichert somit die Prozessqualität. Die Applikation ist auf Maschinenbediener zugeschnitten, sodass auch der Werker ohne großes Spezialwissen von Künstlicher Intelligenz profitieren kann.
Wenngleich in der Fabrik die Zukunft für Künstliche Intelligenz erst beginnt, gibt es bereits zahlreiche Applikationen zum Verbessern der Maschinenverfügbarkeit und Prozessoptimierung. In den Sinumerik-Steuerungen von Siemens überprüfen zum Beispiel Optimierungsalgorithmen, ob Werkzeuge optimal angeordnet sind, um die Zugriffszeiten und damit die Fertigungszeit weiter verkürzen zu können. Wichtig für den Anwender: Die verwendeten Applikationen müssen nicht allein von Siemens kommen, auch Anwender und Maschinenbauer haben die Möglichkeit, eigene Anwendungen zu entwickeln, die auf die individuellen Anforderungen der Maschine abgestimmt sind.
Spracherkennung gibt es seit knapp 40 Jahren. Um damals Maschinen per Sprache steuern zu können, musste man die dazu erforderliche Elektronik aufwendig auf die Stimme ihres Herrn trainieren. Nur vereinzelt gab es damals sprachgesteuerte Anwendungen. Dank Künstlicher Intelligenz ist das heute anders, wie Alexa und Siri zeigen. Warum also nicht auch Maschinen per Sprache intuitiv steuern? Eine Technologiestudie von Trumpf zeigt, wie es gehen kann. „Künstliche Intelligenz ist die nächste Stufe der Automatisierung und eine Schlüsseltechnologie für die vernetzte Industrie. KI macht die Produktion mit unseren Lasern in Zukunft noch effizienter, einfacher und anpassungsfähiger“, verspricht Christian Schmitz, der bei Trumpf für die Lasertechnik zuständige Geschäftsführer. Der Anlagenbediener kann direkt in ein Mikrofon sprechen: „Türe öffnen!“, „Starte den Markiervorgang!“ oder „Wie viele Produkte hast du heute markiert?“. Die Laseranlage antwortet und führt den Sprachbefehl aus.
Der Nutzen ist deutlich erkennbar. Für unerfahrene Bediener entfällt die oft komplizierte händische Befehlseingabe. Außerdem kann der Werker schon während des Sprachbefehls parallel das nächste Bauteil vorbereiten oder aus der Maschine entnehmen. Das spart Zeit und macht produktiver.
Maschinen per Sprache intuitiv steuern
In einem nächsten Schritt wollen die Trumpf-Entwickler die Bedienbarkeit der Markierungsanlage weiter vereinfachen. Noch muss der Anlagenbediener, damit auch das richtige Markierprogramm startet, der Maschine sagen, welches Teil er eingelegt hat. In Zukunft soll die Anlage per Sensorik und Bilderkennungssoftware selbst erkennen, welches Bauteil zu markieren ist. Es wählt das entsprechende Programm dann auch selbst aus. Und: Egal, wie das Bauteil eingelegt ist, die Maschine ist so intelligent, dass sie den Laser automatisch an die richtige Position fährt, bevor sie mit dem Markiervorgang beginnt.
KI erspart unnütze und weite Wege
Möglichst kurze Wege zurücklegen, die Forderung gilt nicht allein für die Fabrik. Transportwege zu optimieren – eine Domäne Künstlicher Intelligenz –, ist eine wichtige Aufgabe im Materialfluss und in der Logistik. „Alfred“ nennt Thyssenkrupp sein KI-Projekt bei Material Services. Es soll dazu beitragen, Transportwege zu optimieren, um so den Transport Tausender Tonnen Material im Jahr einzusparen. Werkstoffe sollen somit schneller an den richtigen Standorten verfügbar sein. Mittelfristig will man bei Material Services in der Lage sein, sämtliche Prozesse entlang der Lieferkette flexibler zu gestalten. In der Praxis lassen sich spezifische Kundenanforderungen an die Liefergeschwindigkeit, an die Preisgestaltung oder an die Materialqualität besser berücksichtigen. Klaus Keysberg, Vorstandsvorsitzender von Thyssenkrupp Material Services, ist überzeugt: „Künstliche Intelligenz ist eine der Technologien, die im Werkstoffhandel künftig entscheidend zur Wettbewerbsfähigkeit beitragen wird.“
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